Gastbeitrag von Vinzenz Baldus, Wirtschaftscoach – Mitglied des Unternehmernetzwerks
Jedes Jahr entlassen wir über 800.000 junge Menschen in unserem Land aus unseren Schulen – 60.000 davon sogar ohne Abschluss – in eine Welt voller Wirtschaft, ohne dass diese die geringste Ahnung von ökonomischer Bildung haben. Dabei geht es gar nicht um Betriebs- oder Volkswirtschaft, sondern um die einfachen Zusammenhänge, z.B. dass steigende Löhne und Gehälter auf der einen Seite natürlich zu mehr Einkommen der Arbeitnehmer führen – auf der anderen Seite jedoch gleichzeitig zu steigenden Kosten im Unternehmen, zumal der Arbeitgeber ja noch ein gutes Pfund an vom Staat verordneten Sozialkosten auf das gezahlte Brutto obendrauf zahlen muss. Kein Bild haben in der Regel die jungen Menschen auch davon, wie die in der Wirtschaft handelnden Personen zusammenwirken – vom Investor bis zum Nutzer und Verbraucher von Gütern und Leistungen – welche Rechte und Pflichten für sie bestehen und vor allem auch: welche Möglichkeiten & Chancen ihnen unser Wirtschaftssystem zur persönlichen Talententfaltung eröffnet. Diese Zusammenhänge sollten Teil der ökonomischen Bildung und der Wirtschaft in der Schule sein.
Die OeBiX-Studie des Instituts für Ökonomische Bildung
Diese Studie hat die „Wirtschaftsinhalte“ in den Schulfächern der einzelnen Bundesländer in den verschiedenen Schulformen und bei der Lehrkräfte-Ausbildung an Hochschulen untersucht. Das skandalöse Ergebnis: Die Inhalte in 11 von 16 Bundesländern erfüllen nicht einmal die Hälfte der üblichen Anforderungen an ein normales Nebenfach im Bereich der ökonomischen Bildung! Niedersachsen liegt mit immerhin 74 % noch an der Spitze – Rheinland-Pfalz bildet mit nur 23 % das absolute Schlusslicht, was die wirtschaftliche Bildung angeht. Dies zeigt deutlich, wie stark die Wirtschaft in der Schule vernachlässigt wird.
Unser Wirtschaftssystem steht vor neuen Herausforderungen. In naher Zukunft wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Ich sehe jedoch eine große Chance darin, dass eine neue Zeit der wertschätzenden Kooperation in aller Welt beginnt.
DIENSTLEISTUNG – das ist das Betriebssystem der Marktwirtschaft, in dem wir alle einander mit unserer jeweiligen Leistung dienen – von der Schwerindustrie bis zur Pflege! Dazu gehört eine AAA:DIENSTLEISTUNGSKULTUR die von Wertschätzung, Leistungsfreude und Lösungskompetenz geprägt ist.
Dazu gehört auch eine LernKultur – besonders in Real- und berufsbildenden Schulen – die nicht von WirtschaftsFeindlichkeit geprägt ist, sondern von der Erkenntnis, dass einzig und allein die Wirtschaft die Chancen zur Talententwicklung bietet. Diese Erkenntnis sollte zentral in der ökonomischen Bildung und im Wirtschaftsunterricht verankert sein.
GEZIELTE VORBEREITUNG
AUF DIE ARBEITSWELT DER ZUKUNFT
Seit wir ehemalige „Lehrlinge“ politisch korrekt „Auszubildende“ nennen, also aus einem aktiven einen passiven Begriff gemacht haben, hat sich irgendwie die Auffassung durchgesetzt, dass Azubis nur Rechte und keine Pflichten mehr haben. Verzeihung! Stimmt so nicht. Wenn der Werkstattmeister verlangen sollte, die Werkstatt zu fegen, dann haben sie die Pflicht, diese ausbildungsfremde Tätigkeit sofort beim nächsten Arbeitsgericht anzuzeigen! In Unternehmen, die von ökonomischer Bildung profitieren, sollte klar sein, dass eine gezielte Vorbereitung auf die Arbeitswelt der Zukunft und ein tieferes Verständnis von Wirtschaft im Unterricht notwendig ist.
„WIR FÜHLEN UNS NICHT AUSREICHEND VORBEREITET AUF DAS BERUFSLEBEN!“ So äußern sich Schüler im NATIONALEN BILDUNGSBERICHT 2024.
Die wenigsten jungen Menschen wissen, was von ihnen erwartet wird und welche Möglichkeiten & Chancen sie in der Wirtschaft erwarten dürfen, welche Rechte, aber auch welche Pflichten sie persönlich haben. Im Mittelpunkt des Berufslebens steht mittlerweile der zweifelhafte Begriff WORK-LIFE-BALANCE – was ja bedeutet, dass Arbeit und Leben offensichtlich Gegensätze sein müssen. Ökonomische Bildung sollte den jungen Menschen jedoch beibringen, dass Arbeit und Leben keine Gegensätze sind, sondern dass der Begriff WORK-LIFE-BALANCE durch eine ganzheitliche LIFE-BALANCE ersetzt werden sollte. Hierbei spielt eine fundierte wirtschaftliche Bildung eine entscheidende Rolle.
Wie ein Unternehmen, ein Bereich, ein Team organisiert ist, welche Rolle die einzelnen Team Mitglieder spielen, wie es um die Forderung der Gen Z nach EIGENBESTIMMUNG in der Welt der NEW WORK bestellt ist – davon haben die jungen Menschen kaum eine Vorstellung, erkennen nicht die ewig gültigen OLD VALUES für persönlichen und unternehmerischen Erfolg:
EIGENMOTIVATION – EIGEN-INITIATIVE – EIGENVERANTWORTUNG!
DIE KLAGEN UND WÜNSCHE DER WIRTSCHAFT
Jedes Jahr die gleiche Klage vieler Unternehmen, was die Einstellung der neuen Azubis zur Arbeit, zum Beruf, zum Unternehmen angeht:
- keine Eigen-Motivation
- zu wenig Lust auf Leistung
- zu geringes Pflichtbewusstsein
- große Konzentrationsschwächen
- kein grundlegendes Wirtschaftswissen
Zudem geht es darum, zu erkennen, dass Ausbildung auf die Anforderungen und Chancen der Arbeitswelt eingehen muss. Eine umfassende wirtschaftliche Bildung im Wirtschaftsunterricht sollte jungen Menschen nicht nur wirtschaftliches Wissen, sondern auch die notwendigen Soft Skills vermitteln:
- Was sind meine Talente, meine Ziele?
- Worin besteht meine Motivation – meine „Beweg-Gründe“?
- Was sind meine Rechte & Pflichten?
- Was bedeuten mir Werte wie Disziplin & Zuverlässigkeit? Engagement & Fleiß? Ordnung & Sauberkeit?
- Wie kommuniziere ich mit Kunden & Kollegen?
- Wie nutze ich die Chancen der Wirtschaft?
- Wie entwickle ich meine Persönlichkeit weiter, – meine Person & Profession?
DIE INTEGRATION RUFT: BERUF & ÖKONOMISCHE BILDUNG!
Seit Jahren kommen zudem immer mehr Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Wirtschaftssystemen nach Deutschland – als Flüchtende und als Zuwanderer. Das ist auf der einen Seite eine Herausforderung für unser Land, gleichzeitig aber ist die Zuwanderung zwingend notwendig. Experten sprechen von mindestens 250.000 Menschen, die jedes Jahr neu zu uns kommen müssen, damit wir genügend Fach- und Arbeitskräfte haben.
Mit einer gut gemeinten Willkommenskultur alleine lassen sich die Herausforderungen, die damit verbunden sind, jedoch nicht bewältigen. Dabei will ich die Integrationskurse, die von Sozialpädagogen und Theologen gegeben werden, in keiner Weise kritisieren – auch nicht die BewerberTrainings der Bundesagentur für Arbeit. Beide Ansätze führen in die richtige Richtung. Aber sie genügen nicht. Es ist entscheidend, dass wir diese Menschen durch eine ökonomische Bildung integrieren, die ihnen ein realistisches Bild unserer Wirtschaft und ihrer Rolle darin vermittelt. Ein solches Verständnis sollte auch durch Wirtschaft im Unterricht gefördert werden, um eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Die Erwartungshaltung der Migranten aus anderen Kulturkreisen ist oft genug über Jahre hinweg zu einseitig auf paradiesische Verhältnisse konditioniert worden, auf ein Land, in dem Milch und Honig aus unerschöpflichen Quellen fließen, in dem es scheinbar nur Rechte und keine Pflichten gibt. Begleitet von NGOs, Kirchen und sonstigen sozial sehr engagierten Organisationen in unserem Land, deren gutes Tun durchaus auch viel Gutes bewirkt. Zum Wollen gehören jedoch zusätzlich noch ganz verschiedene andere Dinge, vor allem der Respekt vor unserer Kultur, vor unseren Regeln, vor unseren Gebräuchen. Wir dürfen den Menschen, die unvorbereitet zu uns kommen, nicht auch noch gleich suggerieren, hier werde im Sinne einer Vollkaskoversicherung für jeden gesorgt, ohne dass der Einzelne selbst etwas dazu tun muss.
DIE AKADEMISIERUNG DER DEUTSCHEN
Die Zeitungen sind seit Jahren voll davon – der Trend zur flächendeckenden Akademisierung scheint nicht nur ungebrochen, sondern von Jahr zu Jahr dramatisch stärker zu werden, während der Fachkräftemangel immer gravierender wird.
Möglichst alle jungen Menschen sollen nach dem Willen der Politik und der Eltern Abitur machen und dann studieren. So hofft man, den Anschluss an die Wohlstandsentwicklung der Zukunft nicht zu verlieren. Die Kinder sollen es ja mal besser haben. Abitur und Studium anstatt Beruf und Bildung. Das deutsche Zukunftskonzept. So aber kann das Problem des Fachkräftemangels keinesfalls gelöst werden.
Professor Dr. Rainer Dollase, einer der großen deutschen Erziehungswissenschaftler, emeritierter Professor der Universität Bielefeld, warnte vor Jahren schon bei einem gemeinsamen Auftritt mit mir vor dem VDR, dem Verband der Deutschen Realschullehrer, vor der dramatisch zunehmenden Akademisierung. Er forderte ein deutliches Mehr an „Denkenden Praktikern“ auf allen Ebenen – in der Politik, in Unternehmen, in der Verwaltung. Hätten wir solche ganz weit oben gehabt, wäre der BER z.B. schon zehn Jahre lang in Betrieb.
Fazit
Wir brauchen „Denkende Praktiker“ überall, intelligente Planer, Handwerker, Spezialisten für Einkauf, Verkauf, Marketing, Techniker und Facharbeiter, die den Ingenieuren in der Entwicklung von Ideen und deren Umsetzung zur Seite stehen. Nur durch eine konsequente ökonomische Bildung, die bereits in der Schule beginnt und sich durch die gesamte Ausbildung zieht, können wir sicherstellen, dass die nächste Generation bestens auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet ist.
Sarah Walenta (*1985, verheiratet, Mutter) ist seit 10 Jahren Mittelstands-Netzwerkerin im Mittelrhein, Chefin einer Agentur für Mittelstands-Marketing und Betreiberin des Co-Working-Spaces Media Loft in Koblenz. Mit ihrem 10-köpfigen Agentur-Team unterstützt sie kleine und mittelständische Unternehmen neue Kunden, Mitarbeiter und Geschäftskontakte zu finden.